Herausforderungen und Chancen des Sharing-Markts für E-Scooter
Trotz schwieriger Marktbedingungen kann der Verleih von E-Scootern
profitabel sein und einen nachhaltigen Beitrag zur urbanen Mobilität leisten. Städte und Gemeinden könnten hierfür den Wettbewerbsrahmen setzen, indem sie den Verleih von E-Scootern ähnlich wie beim ÖPNV mit klaren Anforderungen für einen Anbieter auf bestimmte Zeit in einem definierten Gebiet ausschreiben.
Die resultierenden Skaleneffekte würden den Sharing Anbietern erlauben, sich mit hochwertigeren Geräten besser in den Nahverkehr der Innenstadt integrieren. Die Kunden würden von einem besseren Service und niedrigeren Preisen profitieren.

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Seit der Zulassung der Elektro-Scooter im Mai 2019 in deutschen Städten ist der Sharing-Markt für E-Scooter rasant gewachsen. Das prognostizierte Wachstum für den weltweiten Markt für Mikro-Mobilität, auf dem Elektro-Tretroller den größten Anteil ausmachen, liegt bei 19% bis zum Jahr 20241. Die Fortbewegung per Scooter in Großstädten prägt bereits das Bild urbaner Mobilität. Zusätzlich ermöglichen die Sharing-Anbieter emissionsfreie Mobilität auch ohne Anschaffung des entsprechenden Fortbewegungsmittels. Insgesamt profitiert die Branche vom Trend zur Elektromobilität, denn die E-Scooter fungieren als eine wichtige Schnittstelle zu anderen Verkehrsmitteln.
In deutschen Städten stehen allerdings bis zu sieben Anbieter in gegenseitiger Konkurrenz – mit entsprechend geringer Profitabilität: Die Auslastung der Scooter ist gering und die Betriebskosten sind hoch. Die Corona-Krise im Anschluss an die umsatzschwächeren Wintermonate verschärft die Situation nun zusätzlich, sodass einige Anbieter ihre Dienste reduziert oder eingestellt haben. Der Sharing-Markt für E-Tretroller steht gegenwärtig vor fünf zentralen Herausforderungen:
Außer im Vereinigten Königreich gibt es mittlerweile in allen europäischen Großstädten Sharing-Anbieter für E-Scooter. Neben kleineren Anbietern sind in Deutschland sechs große Anbieter für E-Scooter vertreten: Circ, Lime, Tier, Voi, Circ, Bird und Jump. In Berlin gibt es sieben Sharing-Anbieter für E-Scooter, in Hamburg vier und in München ebenso sieben, nachdem es im Sommer 2019 noch lediglich drei gewesen waren. Auch in mittelgroße Städte expandieren die Anbieter mittlerweile2. Da sich die Anbieter nicht stark voneinander unterscheiden, ist die vermeintliche Wahlfreiheit nur von geringem tatsächlichem Nutzen – besonders die notwendige Installation von eigenen Apps für jeden einzelnen Anbieter stellt eine Hürde für Kunden dar.
Die Anschaffung eines Elektro-Scooters kostet den Anbieter zwischen 800 und 1500 €. Die Lebensdauer der Fahrzeuge und ihrer Akkus ist aktuell noch begrenzt. Teilweise müssen die Geräte im Abstand weniger Monate ausgetauscht werden. Neuere E-Scooter halten mittlerweile ein- bis anderthalb Jahre.3 Die Haupttreiber der Betriebskosten sind das Aufladen und Warten der E-Scooter. Für das Laden der mit den Scootern fest verbauten Akkus werden die Fahrzeuge – meist mit Dieselfahrzeugen – nachts eingesammelt, aufgeladen und anschließend wieder ausgebracht. In vielen Fällen übernehmen dies sogenannte „Juicer“ – formal selbstständige Privatpersonen, die diese Tätigkeit mit privatem KFZ und oftmals an der heimischen Steckdose erledigen.
Die ersten Anbieter planen daher den Umstieg auf E-Scooter mit austauschbaren Batterien, um die Logistik rund um Transport und Aufladen zu erleichtern.4 Ebenso sind bei elektrischen Motor-Rollern5 die Betriebskosten ein zentraler Faktor. So hatte die Bosch-Tochter „Coup“ Ende 2019 angekündigt, aufgrund zu hoher Betriebskosten nicht mehr selbst als Sharing-Anbieter fungieren, sondern lediglich als Zulieferer der Fahrzeuge. E-Scooter-Verleiher Tier hat daraufhin die Fahrzeuge übernommen und will sie im Laufe des Jahres 2020 wieder auf die Straße bringen.6
Preise
Wer sich einen E-Scooter ausleiht, zahlt 15 bis 25 Cent pro Minute sowie pauschal meist einen Euro pro Fahrt. Die Minutenpreise sind damit vergleichbar mit Carsharing-Anbietern wie beispielsweise Car2go. Der Roller ist also nicht günstiger als das Auto. Allerdings sind die Nutzer bisher wenig preissensibel: Nachdem die Anbieter in Hamburg ihre Preise im Sommer 2019 um bis zu ein Drittel erhöht haben, blieb die Nachfrage praktisch unverändert.7
Auslastung
Die Angaben zur Auslastung divergieren teilweise stark: ein Anbieter nennt eine durchschnittliche Fahrtdauer von 15 Minuten, ein anderer gibt an, dass seine Geräte durchschnittlich 4-10 Mal pro Tag ausgeliehen werden. Andere Analysen kommen für Berlin, Hamburg und München auf durchschnittlich weniger als vier Fahrten pro Tag pro Elektro-Scooter. Durchschnittlich sind wahrscheinlich mindestens fünf Fahrten pro Tag nötig, um einen E-Scooter profitabel zu betreiben.
Die durchschnittlich zurückgelegte Entfernung pro Fahrt mit einem E-Scooter beträgt unter zwei Kilometern, wodurch sich die E-Scooter zwischen den durchschnittlichen Distanzen von Fußgängern und Fahrradfahrern einordnen. Verglichen zu den Distanzen, die im ÖPNV sowie mit privaten oder Sharing-PKW durchschnittlich zurückgelegt werden, machen E-Scooter somit Bus, Straßenbahn,U-Bahn und Auto keine Konkurrenz. Elektro-Scooter bedienen also tatsächlich nur die „letzte Meile“.8
Das Anbieten und Abstellen der im stationsunabhängigen Sharing-Modell nutzbaren E-Scooter findet auf öffentlichen Wegeflächen statt. Rechtlich ungeklärt ist die Frage, ob eine solche Nutzung dem Gemeingebrauch (der Gebrauch, der Jedermann im Rahmen der Widmung und der verkehrsrechtlichen Vorschriften gestattet ist) unterliegt oder erlaubnispflichtige Sondernutzung (jede über den Gemeingebrauch gehende Nutzung der Straßen, die einer Erlaubnis bedarf) ist. In Genehmigungsbescheide zur Sondernutzung können die Kommunen zusätzliche Auflagen und Bedingungen aufnehmen, wie etwa die Festlegung von Aufstellorten. Mit diesem Instrument nehmen beispielweise die Städte Bremen und Düsseldorf die Verleiher in die Pflicht. Bremen hat die Anzahl der Elektro-Scooter pro Anbieter sogar auf 500 Stück begrenzt.9
Um solchen – wenn auch rechtlich nicht geklärten – Maßnahmen zuvorzukommen, bietet sich der beispielsweise in Hamburg oder München praktizierte Weg an, freiwillige und rechtlich nicht bindende Selbstverpflichtungen mit den Städten einzugehen. Im August 2019 haben sich die kommunalen Spitzenverbände und vier der sechs großen Anbieter in Deutschland auf Maßnahmen geeinigt, um offensichtliches Chaos durch abgestellte E-Scooter auf Gehwegen zu verhindern. Hierzu zählen die Einrichtung von Verleihstationen und gekennzeichneten Abstellbereichen sowie eine Frist zur Entsorgung defekter oder falsch abgestellter Roller.10 Eine Helmpflicht sowie eine Blinkerpflicht für E-Scooter werden zwar diskutiert, bestehen bisher allerdings nicht.
Witterung
Insbesondere die Wintermonate stellen eine Herausforderung für die Anbieter dar, was die Verkehrssicherheit und den Fahrkomfort für die Kunden angeht. Der Anbieter Bird hat für die Wintermonate in Deutschland seinen Betrieb sogar gänzlich eingestellt.11
Corona
Auch die Corona-Krise setzt den Anbietern stark zu. Die Nachfrage nach E-Scootern ist durch das Fehlen von Touristen und durch die Ausgangsbeschränkungen derart gesunken, dass zahlreiche Anbieter ihre Dienste reduziert oder gestoppt haben. Die Corona-Pandemie kann somit leicht als Katalysator für Konsolidierungen auf dem E-Scooter-Markt wirken. Anbieter Bird hat aufgrund der Corona-Krise bereits im März 2020 die die Entlassung von 400 Mitarbeitern – fast ein Drittel der Belegschaft – angekündigt.12
Warum Anbieter auf die Kommunen zählen müssen
Ein wirkungsvoller Hebel, damit E-Scooter einen nachhaltigen und profitablen Beitrag zur urbanen Mobilität leisten können, liegt bei den Kommunen. Städte und Gemeinden sollten den Verleih von E-Scootern – ähnlich wie beim ÖPNV – für einen Anbieter auf bestimmte Zeit in einem definierten Gebiet ausschreiben, um
- eine höhere Auslastung der Flotten und Synergien bei der Lade- und Wartungslogistik zu ermöglichen,
- niedrigere Preise und eine höhere Servicequalität für die Kunden zu gewährleisten,
- Anbietern eine verlässliche Planung für einen bestimmten Zeitraum zu ermöglichen,
- Maßnahmen mit den Anbietern festlegen zu können, um Chaos in den Innenstädten zu vermeiden und
- E-Scooter mittels gemeinsamer App und kombinierter Tickets in den ÖPNV zu integrieren.
Für den aus der Ausschreibung als Gewinner hervorgehenden Sharing-Anbieter würden die gesteigerte Nachfrage, die Kostendegressionseffekte und die Planungssicherheit ermöglichen,
- sich auf den umsatzstarken Innenstadtbereich zu fokussieren,
- auf hochwertigere und langlebigere Geräte umzusteigen,
- auf Geräte mit austauschbaren und langlebigeren Akkus umzusteigen,
- Kooperationen mit Unternehmen einzugehen und Kundenbindungsprogramme zu etablieren,
- Prepaid-Konten innerhalb der App einzuführen, um den Aufwand beim Ausleihen und die Gebühren für Kleinsttransaktionen zu reduzieren.
Eingebettet in eine kommunale Gesamtstrategie könnten sich ähnliche Maßnahmen ebenso beim Bike-Sharing und Car-Sharing anbieten, sind also auf weitere Sharing-Mobility-Dienstleistungen übertragbar (wie beispielsweise beim Start-up Twist Mobility).
Die Marktkonsolidierung beschleunigt sich
Schon seit dem Markteintritt gibt es durch die starke Konkurrenz wenig Spielraum für Skalierungseffekte weder auf der Kosten- noch auf der Umsatzseite. Für viele Anbieter sind insbesondere die variablen Kosten zu hoch und die Auslastung zu gering, um die Gewinnzone zu erreichen. Konsolidierungen im Markt sind somit sehr wahrscheinlich und die im Januar 2020 angekündigte Übernahme des europäischen Anbieters Circ durch den amerikanischen Anbieter Bird ein erster Vorbote.
Insbesondere die Corona-Krise dürfte nun die Konsolidierungen im Markt vorantreiben. Alternativ bliebe das Mittel einer städtischen Ausschreibung, um den Wettbewerb „im Markt“ durch den Wettbewerb „um den Markt“ zu ersetzen – mit positiven Effekten für Anbieter und Kunden gleichermaßen.
Sources: Fortlane Partners; 1 Vynz Research, 2020; 2 Statista, 2020; 3 Fritz, J. 2019; Wilke, F. 2019; 4 Fritz, J., 2019; 5 Die Begriffe E-Scooter und E-Roller sind durch die deutsche Gesetzeslage differenziert. Der E-Scooter ist ein elektrischer Tretroller, der E-Roller bezeichnet einen elektrischen Motorroller, das batteriebetriebene Pendant zum Roller mit Verbrennungsmotor.; 6 Der Tagesspiegel, 2020; 7 Fritz, J. 2019; 8 Bock, B. A. Klein und A. Tack: „E-Scooter in Deutschland. Ein datenbasierter Debattenbeitrag.“; 9 Janisch, W. 2019; 10 Reintjes, D. und B. Becker 2019, Weis, A. 2019; 11 RBB, 2019; 12 Business Insider, 2020
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